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Die Geburt des GRIPS aus dem Geist des Kabaretts
Von Volker Ludwig
Das GRIPS Theater ist ein Kind der Studentenbewegung und des Kabaretts. Das ist das Geheimnis seines Erfolgs. Die 50er und 60er Jahre waren die Zeit des Kalten Krieges. Der Antikommunismus hielt den Westen zusammen, wir lebten in einer zutiefst anti-aufklärerischen Welt. Eine ideale Zeit für Satire. In Westberlin, diesem Stachel im Fleisch des ostdeutschen Kommunismus, blühte das politisch-literarische Kabarett: Insulaner, Stachelschweine, Wühlmäuse und Bügelbrett spießten Missstände auf, allerdings ohne ihre Ursache, die gesellschaftlichen Verhältnisse, auch nur wahrzunehmen.
1965 verließ eine Ensemblemehrheit samt Geschäftsführer die »unpolitischen« Wühlmäuse und machte mich als »politischsten« Berliner Texter zum Leiter einer neuen linken Truppe. Wir nannten uns Reichskabarett Berlin und fanden Raum in der Wilmersdorfer Ludwigkirchstraße (heute das »Hamlet«): ein schmales Handtuch, hinten die wohnzimmergroße Bühne, vorn der existenzsichernde Tresen, bald beliebter Treffpunkt der außerparlamentarischen Opposition.
Mit unserem zweiten Programm »Bombenstimmung«, einer faktenreichen Vietnamkriegs-Revue des 22-jährigen Frank-Patrick Steckel (mit Beiträgen des ebenso jungen SDSlers Detlef Michel und mehrerer Altmeister) etablierte sich das Reichskabarett 1966 als die satirische Stimme der Studentenbewegung, vornehmlich des SDS-Flügels um Rudi Dutschke. Die seriöse Kulturkritik wünschte uns plötzlich empört hinter die Mauer, wir verloren fassungslose Freunde und alle Jobs im RIAS, aber wir hatten die Wahrheit auf unserer Seite und fühlten uns großartig. Freitagnachts wurde gesungen, wer sich traute, bekam zehn Mark, und das waren viele: Hannes Wader, Ulrich Roski, Reinhard Mey und Katja Ebstein (damals noch Witkiewicz), Insterburg und Co. fanden hier zusammen und wurden Kult wie Ortrud Beginnen. Peter Rühmkorf las und Hüsch und das Floh de Cologne gastierten.
Und nur damit der Laden auch am Nachmittag nicht leer stand, erfand unser Geschäftsführer noch ein »Theater für Kinder im Reichskabarett«, im Juni 1966, sehr ungewöhnlich, denn für Kinder gab es damals nur Weihnachtsmärchen. Die Kabarettisten hatten für dieses Kindertheater um Sigrid Hackenberg und Horst Jüssen nichts übrig. Trotz großen Erfolgs und dem Brüder-Grimm-Preis 1967 für »Kasper und der Löwe Poldi« war uns das Unternehmen eher peinlich. Die Idee, dieses Genre politisch zu nutzen und vom Kopf auf die Füße zu stellen, hatten wir erst drei Jahre später – im Frühjahr 1969, als es zum Bruch mit der Kindertheatertruppe kam. Statt sich mit uns inhaltlich auseinanderzusetzen, zog sie ins Theater Tribüne, wo sie bald einging.
Um das Etat-Loch zu stopfen, mussten nun die Starkabarettisten selbst ran. Bühnenbildner und Karikaturist Rainer Hachfeld schrieb mit mir in dreieinhalb Wochen »Stokkerlok und Millipilli«, Kursawe und Wiehe spielten den entlassenen Lokführer Stokkerlok und den Lokbesitzer Kratzwurst, Hobby: Verbotsschilder malen. Am 17. Mai 1969 war Premiere. Die Kritiker verrissen das Stück ebenso blindwütig wie drei Jahre vorher »Bombenstimmung«.
Ein Jahr später bekam es den Brüder-Grimm-Preis und Robert Wolfgang Schnell konstatierte in seiner Laudatio: »Hachfeld und Ludwig zeigen, dass sie nicht fantasievolle Ästheten sind, sondern sittliche Leidenschaft besitzen, ohne welche im Bereich des Theaters nichts Nahrhaftes zu machen ist«. Das Stück wurde von über 100 Theatern in aller Welt nachgespielt. Warum beginnt die Geschichte vom GRIPS mit »Stokkerlok und Millipilli«?
Trotz seiner noch märchenhaften Verpackung enthielt es alles, was GRIPS ausmacht und 1968 zum Begriff der Aufklärung zählte: Es ist antiautoritär, emanzipatorisch, gesellschaftskritisch, optimistisch. Es vertritt die Interessen seines Publikums, Witz und Solidarität sind die Waffen der Unterdrückten. Es ist Kabarett, nur für ein neues Publikum: pointenreich, frech, mit einprägsamen Songs.
Das Kindertheater war jetzt für uns wie das Erwachsenen-Kabarett »ein Mittel, auf gesellschaftliche Verhältnisse einzuwirken«, getreu dem Brecht-Motto: »Wer seine Lage erkannt hat, wie soll der aufzuhalten sein?«. Der Zerfall der Studentenbewegung betraf auch das Reichskabarett.
Wenig berührt von den ideologischen Grabenkämpfen blieb allein die Kinderladenbewegung. Ob man sein Heil in Moskau, Peking oder in der SPD suchte, war Nebensache, wenn der Alltag nach neuen antiautoritären Erziehungskonzepten verlangte: Unsere Kinder nervten fraktionsübergreifend. Nicht wenige linke Student*innen wurden Volksschullehrer*innen in Neukölln und im Wedding.
Ihre Schulklassen prägten neben den Kinderläden unser Publikum, das dadurch überwiegend proletarisch war. Was wir beim Kabarett so schmerzlich vermissten, endlich hatten wir es gefunden: Ein Publikum aller Klassen inklusive der Prekarisierten. Die Liebe zu diesem Publikum machte uns den Abschied vom politischen Kabarett sehr leicht. Und die Frage nach dem Sinn unseres Tuns stellte sich nie wieder.
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Die 70er Jahre: GRIPS setzt sich durch
Von Volker Ludwig
Der rasante Aufstieg des GRIPS Theaters war begleitet von Missgunst und ideologischer Gegenwehr. Von Anfang an beklagten »Erziehungsexpert*innen«, wir setzten den armen Kindern nur ihren eigenen trostlosen Alltag vor, hetzten sie auf und machten sie unglücklich, statt sie in eine heile Welt zu entführen. In Wahrheit aber waren die Kinder von nichts mehr begeistert, als sich selbst mit ihren Alltagssorgen im Mittelpunkt zu sehen, für voll genommen zu werden, zu entdecken, dass es anderen geht wie ihnen, dass die Welt veränderbar ist, und vor allem, dass es sehr viel zu lachen gibt. Als Urteilshilfe luden wir zu unserer zweiten Premiere, »Maximilian Pfeiferling«, im November 1969, nur Schulklassen ein und setzten Kritiker*innen und Expert*innen ganz nach hinten. Das half sehr. Nach den Vorstellungen bestürmten uns Kinder mit Vorschlägen, wovon das nächste Stück handeln sollte. Alles, worunter sie litten: brüllende und hauende Eltern, zu große Schulklassen, Ungerechtigkeit, Verbote, doofe Jungs/doofe Mädchen, kein Platz zum Spielen usw. Daraus bastelten wir freche Komödien, meist im proletarischen Milieu angesiedelt, mit dem Ziel, das Selbstbewusstsein der Kinder zu stärken und ihre soziale Fantasie anzuregen; Mutmach-Theater mit dem Dialogwitz des Kabaretts und Liedern zum Mitsingen (»Man muss sich nur wehren, »Trau dich«, »Wir werden immer größer«, »Doof gebor´n ist keiner«, »Mädchen lasst euch nichts erzählen« und viele andere).
Bis Ende 1973 entstanden so weitere sieben Stücke, von »Mugnog-Kinder!« bis zu »Ein Fest bei Papadakis«. Mangels Alternativen stürzten sich die westdeutschen Stadt- und Staatstheater auf sie, von Bremen bis Konstanz, Köln bis Ingolstadt; sie öffneten ihre Studios und Malersäle und spielten GRIPS. Außerhalb der Weihnachtszeit! Das ganze Jahr über! Jedes der neun anti-autoritären Stücke wurde von 30 bis 50 Theatern nachgespielt, bald auch in Schweden, der Schweiz und anderswo.
So entstand die heute existierende Kindertheaterlandschaft. Dank des liberalen WDR Köln wurden außerdem alle diese Produktionen aufwendig aufgezeichnet und sonnabends im Ersten Programm ausgestrahlt. Mehr GRIPS-Präsenz war kaum denkbar. Unsere sechste Uraufführung, Mannomann! im Mai 1972, fand im Forum-Theater am Kurfürstendamm statt, einer Avantgarde Bühne, die wir – wegen der vom Senat für eine Subventionierung geforderten Trennung vom Kabarett – als Untermieter bezogen. Dafür gab´s dann jährlich 100.000 Mark, und wir nannten uns »GRIPS Theater für Kinder«. Dem Forum-Theater verdankt GRIPS die Entdeckung der Raumbühne. Die Wohnung in »Mannomann! «, das Klassenzimmer von Doof bleibt doof und der Zeltplatz für das »Fest bei Papadakis« befanden sich in der Raummitte, die Zuschauer*innen allseits drum herum, in engster Nähe zu den Schauspieler*innen. Bei der Übernahme des ehemaligen Kinos »Bellevue« am Hansaplatz, bereits von Aldi gepachtet, machten wir den Umbau in eine Arena-Bühne zur Bedingung. Das neue Haus am Hansaplatz bot auch die Chance, ein Jugendtheater mit Rockband zu etablieren. Immer wieder hatten Lehrer*innen von sechsten Grundschulklassen beklagt, nun nie mehr ins Theater gehen zu können. Für Ältere gab es ja nichts. So recherchierte ich zusammen mit Co-Autor Detlef Michel, später auch mit den Schauspieler*innen, Kostümbildner*innen und Requisiteur*innen ein Jahr lang auf Neuköllner Schulhöfen, in Klassenzimmern und Freizeitheimen über chancenlose Hauptschulabgänger*innen für ein Stück, das schließlich an Realismus im Sinne Brechts kaum zu überbieten war: »Das hältste ja im Kopf nicht aus« (1975) war drei Jahre lang ausverkauft. Allein 50.000 Hauptschüler*innen sahen das Kultstück, in dem sie, so die CDU, »mit unflätiger Sprache zur Gewalt aufgerufen« wurden. Aber auch die Schaubühnen-Klientel strömte herbei. Gleichzeitig begannen die (glücklicherweise die Opposition bildenden) Christdemokrat*innen mit einem Aufführungsverbot für »Mensch Mädchen!« in Steglitz eine langjährige Hetzkampagne gegen GRIPS, unterstützt von Teilen der Springerpresse. Amüsierte uns zunächst noch die Behauptung, wir seien »die Repräsentanten dieser ganzen bolschewistischen Kulturrevolution«, verging uns das Lachen, als die CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus drei Jahre hintereinander einstimmig die Streichung sämtlicher Subventionen und das Verbot von Schulklassenbesuchen forderte. Während »Das hältste ja im Kopf nicht aus« 1976 beim Berliner Theatertreffen Triumphe feierte, war GRIPS in allen CDU-regierten Berliner Bezirken verboten; Lehrer*innen wurden GRIPS-Besuche in ihre Personalakte eingetragen. Allein die Berliner Morgenpost brachte es auf 29 Hetzartikel in sieben Monaten. Zitat: »Zuschüsse für GRIPS bedeuten, dass wir uns einen Haufen Psychopathen heranzüchten, arme Typen, die eines Tages an sich zerbrechen werden. Vorher werden sie noch anderes zerbrochen haben.« Als CDU-Funktionäre endlich feststellten, wir seien Unterstützer der Baader-Meinhof-Bande, war ich gezwungen, auf Widerruf zu klagen. Und verlor 1977 in letzter Instanz vor dem Berliner Kammergericht. Doch das allgemein erwartete Aus für GRIPS trat nicht ein. Im Gegenteil: Die Empörung der liberalen Presse und der Öffentlichkeit über dieses abstruse Urteil und die Welle der Solidarität waren so gewaltig, dass die Hetzkampagne in eine Werbekampagne für GRIPS umschlug. Wir waren noch nie so ausverkauft. -
»Die Geschichte des GRIPS Theaters sind seine Stücke«*
Von Volker Ludwig
GRIPS war und ist ein Autoren- und Uraufführungstheater. Alle 29 Stücke der ersten 15 Jahre hat es, notgedrungen, selbst entwickelt (das erste »fremde« Stück war 1984 »Medeas Kinder« vom Unga Klara Theater Stockholm). Geschrieben hat – in enger Zusammenarbeit mit den Schauspieler*innen – vor allem ein Autoren-Quartett, meist in wechselnden Zweier-Teams: Volker Ludwig (18), Regisseur Reiner Lücker (10), Bühnenbildner und Polit-Karikaturist Rainer Hachfeld (6) und Journalist Stefan Reisner (6), dazu Detlef Michel als Co-Autor aller Jugendstücke (4). Zu 26 (bis heute 52) Stücken schrieb Ludwig Lieder, vertont von Birger Heymann, der die Aufführungen ab »Mugnog-Kinder!« auf der Gitarre begleitete und die Kinder zum Mitsingen animierte. Kein Stück entstand im Handumdrehen, ganz im Gegenteil: Jedes war hart erkämpft, ein Lernprozess, ein neuer Meilenstein, ein Original. Vorbilder für ein neues Kindertheater gab es nicht. Studiert wurde Bert Brecht, unsere Idole waren Dario Fo, Ariane Mnouchkine, Peter Brook und die bei uns gastierende San Francisco Mime Troup mit ihrem Slogan »Theatre is Comedy«. Da über die Ziele von GRIPS immer Einigkeit herrschte, ging es beim Ringen um das jeweils nächste Stück zum Glück nicht um Ideologie, sondern um Handwerk.
Eine enorme Rolle spielten dabei die Schauspieler*innen mit ihrem reichen Erfahrungsschatz von Hunderten von Vorstellungen vor Kindern. Einzelne Schauspieler*innen waren Co-Autor*innen und jahrelang wurden deren Nennungen durch »und Ensemble« ergänzt, bis es als Selbstverständlichkeit wegfiel, es hätte sonst auch hinter jede Regieangabe gehört. Die Themen der Stücke kommen von den Autor*innen oder vom Ensemble, ein Stückauftrag aber erst, wenn eine überzeugende Story vorliegt. Ein Thema ist keine Stückidee. Zum Thema Gastarbeiter brauchten wir zum Beispiel zwei Jahre, bis wir den idealen Plot, »Ein Fest bei Papadakis« (1973), gefunden hatten. Jede vorgelegte Szene, jeder Dialog muss von Anfang an so perfekt wie irgend möglich geschrieben sein, alles andere ist Zeitverschwendung. Verbesserungen durch die Proben und zusätzliche Ideen aller Beteiligten geben dem Stück zusätzlichen Glanz, nach der Premiere wird der Text in Stein gemeißelt, es sei denn, Erfahrungen mit dem Publikum schreien noch nach Änderungen, was aber selten ist. Wie stellen erwachsene Schauspieler*innen sechsjährige Kinder dar, ohne dass es peinlich wird? Was ist die Funktion von Songs? Wie geht gemeinsames Schreiben? Die Proben zu unserem vierten Stück,
»Balle Malle Hupe und Artur« (1971), dauerten ganze zehn Monate. Drei Schauspieler*innen schrieben die Szenen mit mir um die Wette. Die Plackerei war erfolgreich. Das Stück ist bis heute ein internationaler Hit.
Fast alle GRIPS-Stücke erzählen realistische Geschichten aus dem gegenwärtigen Berliner Alltag. Ausnahmen waren das damals so genannte Dritte-Welt-Stück »Bananas« (1976) und das erste Umweltstück »Wasser im Eimer« (1977), beide auf Bitten befreundeter Lehrer, die diese Stoffe, die nicht im Rahmenplan standen, auf diese Weise nachbehandeln durften, auf Betreiben der CDU sogar mussten, um nach einem GRIPS-Besuch das Gesehene zu »entgiften«. Weitere Ausnahmen waren das erste Erwachsenen-Stück »Eine linke Geschichte« (1980), das in der Gegenwart endet, aber mit der Studentenbewegung 1966 beginnt, und »Ab heute heißt du Sara« (1989) nach Inge Deutschkrons »Ich trug den gelben Stern«, das allerdings fünf Tage nach dem Einzug der rechtsradikalen Republikaner ins Abgeordnetenhaus Premiere hatte und somit das aktuellste Stück der Stadt war. Erst 2008 folgte mit »Rosa« ein weiteres historisches Stück Berlin. Mit dem größeren neuen Haus drohte der Mangel an geeigneten Autor*innen und das Elend nicht vorhandener Stücke zum Existenzproblem zu werden. Die Stücke kamen immer unfertiger auf die Probe. Wir suchten also einen Dramaturgen und fanden ihn in Wolfgang Kolneder, Leiter des Tübinger Zimmertheaters, den das Forum-Theater umwarb, der aber GRIPS vorzog, denn das sei »ein Theater, das gebraucht wird«. Er war bald der intellektuelle Vordenker, brachte Ordnung in unsere kollektiven Arbeitsweisen, sprang als Regisseur für »Das hältste ja im Kopf nicht aus« ein und wurde gleich zum Berliner Theatertreffen eingeladen. 14 Jahre lang war er der prägende Regisseur des Hauses, die Riesenerfolge der Jugendstücke, »Eine linke Geschichte«, vor allem aber von »Linie 1« wären ohne ihn undenkbar. Doch was wäre GRIPS ohne seine Schauspieler*innen! Ohne das charismatische Trio Ahrens/Lehmann/Veit, über 40 Jahre Rückgrat (und Gurus) des Ensembles, ohne ihre vielgeliebten Kolleg*innen, die bei GRIPS begannen, fünf bis sechs Jahre blieben und lernten und heute unsere Filme, Fernsehspiele und vor allem Tatorte beglücken! Sie sind nicht nur Inspirator*innen der Stücke, sie sind ihre Regisseur*innen! Fast 100 aller 180 GRIPS Produktionen wurden von erfahrenen GRIPS-Schauspielern inszeniert, allen voran Dietrich Lehmann und Rüdiger Wandel (je fast 20), sowie Thomas Ahrens und Hermann Vinck (je 8), die jeder auch fünf Stücke schrieben, und seit 2011 Robert Neumann (bisher 6). Von außen kommenden Regisseuren hatten es bei GRIPS schwer. Umso erstaunlicher, dass in den vergangenen 20 Jahren doch drei »von außen« das Ensemble von Anfang an so überzeugten, ja faszinierten, dass sie schnell fest zum Haus gehörten: die vielgeliebte Franziska Steiof, mit der ich »Baden gehn« und »Rosa« schrieb und deren schockierender Tod 2014 eine grässliche Wunde hinterließ, ferner Yüksel Yolcu und allen voran Frank Panhans, Faust-Preisträger mit »Cengiz und Locke«. Mit den Autor*innen sah es dagegen trübe aus. Die Alten hörten auf oder schrieben nur noch einmal (Lücker 1990 »Auf der Mauer auf der Lauer«, Hachfeld 1996 »Eins auf die Fresse«, noch heute auf dem Spielplan).
Die vorübergehende Rettung kam 1986 mit »Linie 1«, dass alle Qualitäten des GRIPS Theaters in einer musikalischen Revue so auf den Punkt brachte, dass es zum größten Erfolg wurde, den ein deutsches Theaterstück je hatte. Die Aufführung war so teuer, dass wir Ende des Jahres mal wieder vor der Pleite standen, aus der uns diesmal aber unser einstiger Feind, die CDU, befreite. Von nun an wurden alle Abendstücke mit »Linie 1« verglichen, was das Leben nicht einfacher machte. Ein veritabler neuer GRIPS- Autor trat erst 1996 auf den Plan: Lutz Hübner schrieb für uns sein erstes Jugendstück »Das Herz eines Boxers« (mit Axel Prahl und Christian Veit), bald das meistgespielte Stück nach »Linie 1« auf deutschen Bühnen. Es folgten die Eigenproduktionen »Alles Gute (1998) und »Hallo Nazi» (2001), und seitdem spielen wir mit Lust seine neuen Stücke nach, von »Nelly Goodbye« (2004) bis »Frau Müller muss weg« (2012). Aber Autor*innen suchen wir wie eh und je. Besonders »für Menschen ab 5«. Es gibt Lichtblicke. Dank des Autor*innenwettbewerbs »berliner kindertheaterpreis« von GRIPS und GASAG entdeckten wir zwei Autorinnen, die beide bereits an ihrem vierten Stück für GRIPS arbeiten: Milena Baisch und Kirsten Fuchs. Die Zukunft scheint gerettet. Ich ziehe mich gern zurück.*Der Titel dieses Kapitels ist ein Zitat von Wolfgang Kolneder
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GRIPS in aller Welt
Von Volker Ludwig
1975 kam Klaus Vetter, Theaterreferent des Goethe-Instituts, auf die Idee, das berlinische GRIPS als deutsches Spezifikum außerhalb Europas vorzustellen. Aus drei brasilianischen Instituten lagen schon Anträge vor, also bereiste ich 1976 Brasilien, noch zu Zeiten der Militärdiktatur, um in fünf einwöchigen Seminaren die Kindertheaterszene und ihre Macher*innen kennenzulernen, während Wolfgang Kolneder in Curitiba »Stokkerlok und Millipilli« inszenierte (andere Stücke hatten bei der Zensur keine Chance). Ein Theater mit einer sozialen Funktion, für Groß und Klein, im Gewand der Komödie, war für die Brasilianer etwas völlig Neues: Ein brisantes subversives Vehikel, um die wahren Probleme des Publikums wirkungsvoll ans Licht zu bringen. Immer wieder wurde Paolo Freires »Pädagogik der Unterdrückten« zitiert, heiß diskutiert wurde jede Nacht in überschaubaren Runden, während man mich öffentlich aus Angst vor Spitzeln lieber allein reden ließ. Die Spätfolgen unserer Reise waren überwältigend: Allein aus der Curitiba-Truppe entstanden vier neue Gruppen, die GRIPS Stücke adaptierten, fünf Jahre lang tourte »Max und Milli« durch Rio, São Paulo brachte »Alles Plastik« und mehrere Truppen entwickelten GRIPS-Stücke für und mit Favela-Bewohnern. Der Name GRIPS wurde zum Synonym für nicht-eskapistisches Theater überhaupt. Klaus Vetter schrieb dazu 1994: »Der Stein wurde damals ins Wasser geworfen. Das Wasser schlug Wellen. Heute werden Stücke des GRIPS Theaters in allen Erdteilen und unterschiedlichsten Kulturkreisen übersetzt, adaptiert und inszeniert, werden Stoffe und Stücke nach der »GRIPS Methode« in Form von Gastregien, Produktionsworkshops und Autor*innentreffen auf Wunsch vieler Theatermacher*innen von Vancouver über Manila bis Wellington formuliert und ausprobiert, reisen Volker und seine Inszenateure für oder durch »Goethe« in die inneren und äußeren Landschaften des Theateruniversums, um immer wieder dort anzukommen, wo sie in Brasilien angefangen haben: Zuhören, zuschauen, gemeinsam nachdenken, anregen und gestalten. Anderen und Anderem begegnen. Man könnte es auch »Kulturaustausch« nennen, wenn dieser Begriff nicht so oft missbraucht worden wäre.«
1979 startete GRIPS sein »1. Internationales Kinder- und Jugendtheatertreffen«, finanziert von den Berliner Festspielen mit 200.000 DM. Untertitel: »Zehn Jahre emanzipatorisches Theater«. Erstmals konnten wir den Berliner*innen unsere ausländischen Freunde vorstellen, das Nationalteatern Göteborg, Teatro del Sole Mailand, Proloog aus Eindhoven, drei dänische und drei französischsprachige Truppen und zwei Mal »Maximilian Pfeiferling«, aus Zagreb und Athen. Ein Jahr später wurde auch England von der GRIPS-Welle erfasst, beginnend mit »Things that go bump in the Night« (»Max und Milli«) am Unicorn in London. Übersetzer Roy Kift schrieb für GRIPS im selben Jahr »Stronger than Superman«. Mit dem Gastspiel von »Eine linke Geschichte« (Premiere im Mai) begann im Juni 1980 in Amsterdam der Höhepunkt aller bisherigen Tourneen: Die dreiwöchige Teilnahme am »Holland-Festival« mit sieben Produktionen und 24 Auftritten in sechs Städten. Für »Die schönste Zeit im Leben« gab’s in Utrecht 20 Minuten Standing Ovations. Krönung des zweiten Theatertreffens: 1981 bot das Werktheater Amsterdam »Abendrot und Waldeslust« und ein türkisches »Mannomann! « aus Ankara, das anschließend 40 Vorstellungen in Berliner Schulen gab. Das internationale Renommee unseres Kinder- und Jugendtheatertreffens war so enorm wie seine Finanzierung erbärmlich. Für die Ausgabe 1983 organisierte ich mit dem »Holland-Festival« und NIFTIE London eine gemeinsame Tournee für die Truppen aus Übersee. Doch da schlug die Reaktion zu: Die neue Kohl-Regierung, die die Berliner Festspiele finanzierte, strich die lächerlichen 200.000 DM komplett und ohne Begründung vier Monate vor Beginn des Festivals. Die Tournee von Green Thumb Vancouver, das mit GRIPS »Trummi kaputt« koproduziert hatte, platzte ebenso wie die des furiosen New Yorker Creative Arts Team, das daraufhin kaputtging, ein später Racheakt der CDU. Der Austausch brach ab, für Gastspiele waren wir ab jetzt auf Festivals angewiesen. »Die schönste Zeit im Leben« und »Alles Plastik« feierten noch Triumphe in Nanterre und London, ansonsten rückte wieder mehr das Goethe-Institut in den Mittelpunkt mit Workshops, Seminaren und Gast-Regien. Reiner Lücker inszenierte in Lima, Jörg Friedrich in Kenia und Indonesien, Thomas Ahrens in Atlanta und Wolfgang Kolneder, das Sprachgenie, in Kanada, Hongkong, Japan, Irland, Norwegen und immer wieder Indien. Dort, in Pune, traf ich 1983 Mohan Agashe, Psychiater und landesweit berühmter Schauspieler, der in GRIPS genau das Theater sah, das Indien brauchte. Sein »GRIPS Project« startete 1986 mit Wolfgang Kolneders Inszenierung von »Max und Milli« in Marathi. Nach Jahren voller Workshops folgte »Mannomann!«, Regie Shrirang Godbole, Wolfgangs Assistent, heute großer Filmproduzent, Stückeschreiber und immer noch beim GRIPS-Movement dabei, das sich schnell über den indischen Kontinent verbreitete. Auf dem Jubiläumsfestival »Coming to Grips with India«, 1996 im Prithvi Theatre Mumbai, sah ich allein »Max und Milli« in drei indischen Sprachen. Die ungezählten Adaptionen von GRIPS-Stücken wichen mehr und mehr indischen Stücken, die der »GRIPS-Method« folgten, was ganz in unserem Sinne war. Das GRIPS-Land Indien hat sich abgenabelt, blüht und gedeiht, wir haben uns überflüssig gemacht. Mohan Agashe nennt die Organisation seiner GRIPS-Bewegung »D.A.T.E.: Developing Awareness Through Entertainment«. Gibt es eine treffendere Definition für GRIPS?
1984 versprach ich den GRIPS-Musiker*innen (als Wiedergutmachung für ein Jugendstück ohne Live-Musik) ein veritables Musical, das ich gleichzeitig für das »Dublin Theatre Festival« 1986 festmachte; so viel Druck musste sein. Im April ´86 hatte »Linie 1« Premiere, fünf Monate später gastierten wir in englischer Sprache, die GRIPS-Regisseur Rod Lewis mit den Schauspielern eingeübt hatte, in Dublin und London, mit sensationellem Erfolg, der überall anhielt: 1987 in Wien, Turin, Paris und Amsterdam, 1988 in New York, Brisbane, Melbourne, Jerusalem und – ebenso aufregend – in Karl-Marx-Stadt, Dresden und Halle. Später folgten Prag und Moskau (zusammen mit »Ab heute heißt du Sara«), schließlich 2001 Pune und Mumbai, wo die Begeisterung dank Pete Gilberts genialer Übersetzung samt Bedienung der Übertitelung keine Grenzen kannte, und 2003 der Gegenbesuch beim Hakchôn Theatre in Seoul. Auch bei den Goethe-Instituten wurde das Geld knapp. Immerhin tourte Thomas Ahrens noch mit »Sturm und Wurm« durch die USA und Südasien, und Axel Prahl und Uli von Lenski tourten mit »Vorsicht Grenze« jahrelang durch das Baltikum, Polen, die Tschechei, die Türkei und Russland, wo wir als erstes westliches Theater überhaupt in Perm, Jekaterinburg und Omsk spielen durften. Dank »Linie 1« boomten auch wieder die weltweiten Nachinszenierungen. Ohne dass es uns bewusst war, hatten wir mit unseren Berliner Typen offenbar lauter typische Metropolen-Bewohner*innen getroffen, die man auf der ganzen Welt wiedererkennt, worauf wir auch immer wieder hingewiesen wurden. Kein Wunder, dass es neben zahllosen Nachinszenierungen ebenso viele Neu-Adaptionen gab, die die Berliner »Linie 1« auf ihre jeweilige Stadt übertrugen. Besonders faszinierten und berührten uns die Versionen aus dem armen Kalkutta und die geniale Neu-Dichtung des charismatischen koreanischen Sängers und Komponisten Kim Min’Gi, die an Qualität, Tiefe und Musikalität alles übertrifft und mit bisher über 4.000 Vorstellungen »Linie 1« zum erfolgreichsten deutschen Theaterstück aller Zeiten machte. Vier Adaptionen konnten wir nach Berlin einladen: Neben Seoul die herrlich undergroundige Fassung aus Vilnius sowie die aufregenden, frech-lebendigen Sammeltaxi-Versionen aus Namibia und dem Jemen. Aber auch die Kinderstücke, unser eigentliches Metier, werden rund um die Erde weitergespielt: Kontinuierlich vom GRIPS Theater Karachi, vom Hakchôn Theatre Seoul, im japanischen Nagoya, überall in Indien, in Griechenland, der Türkei, von Kanada bis Usbekistan, Brasilien bis Georgien. GRIPS ist zum festen Bestandteil des Welttheaters geworden. -
Das neue Jahrtausend
Von Philipp Harpain
Anfang der 2000er Jahre sind die Eckpfeiler auf der Bühne die großen Musicals: »Café Mitte« erzählt von den Umbrüchen im Herzen Berlins (Premiere 1997), »Melodys Ring« (2000) von jugendlichen Geflüchteten und einem »multikulturellen« Berlin, »Baden gehn« von Volker Ludwig und Franziska Steiof (2003), dieses »Sittenbild mit Musik« in einem Freibad ohne Wasser, hat die Berliner*innen und ihre Finanznot zum Thema. Die langjährigen Schauspieler Thomas Ahrens und Rüdiger Wandel rücken zu Hausregisseuren auf. Thomas wird außerdem zu einem wichtigen Autor fürs GRIPS, unter anderem mit »Flo & Co« und »Der Ball ist rund«, einem Globalisierungskrimi. Mit »Hallo Nazi« (2001), »Kannst du pfeifen, Johanna?« (2002) und »Klamms Krieg« (2003) sorgt Frank Panhans als Regisseur in der Werkstatt des Schiller-Theaters, damals unsere Nebenspielstätte, für Furore. Als mich 2002 der damalige Dramaturg Stefan Fischer-Fels ans GRIPS Theater holt – wir spielten zusammen in der Klassenzimmer-Koproduktion »Lulatsch will aber«, in der wunderbaren Regie von Dietrich Lehmann – bekomme ich von Volker Ludwig den Auftrag, eine theaterpädagogische Abteilung am GRIPS Theater aufzubauen. Die Nachbereitungen werden jetzt durch Workshops ergänzt. Es folgen Fortbildungen, Mitspielstücke sowie der Auf- und Ausbau von Kinder- und Jugendklubs. Neben zahlreichen Jugendklub-Stücken mit der »Banda Agita« – von »Kontrollverlust« mit Autorin Susanne Lipp bis hin zu »Das Tierreich vom Duo Nolte/ Decar« – entwickele ich als Theaterpädagoge mit Vorliebe Klassenzimmer-Stücke: Erst weiter als Spieler, mit der Produktion »In die Hände gespuckt« von Christopher Maas, später auch als Regisseur bei »Fundstücke« des Autors Georg Piller, bei »Wasserbomben« von Andreas Joppich und Susanne Lipp. Damit etablieren wir einen weiteren Spielort für das GRIPS: Die Schule als Bühne.In den Jahren 2007 bis 2009 schlägt die Berliner Finanznot auch beim stetig ärmer werdenden GRIPS durch. Mit »Wehr dich Mathilda!« – einem Stück über Mobbing in der Grundschule – gelingt es aber wieder, Schulklassen in Massen anzulocken, die Theaterpädagogik kann sich vor Anfragen kaum retten. Auch ein finanzkräftiger Sponsor ist gefunden: Die GASAG, die mit GRIPS den Autor*innen-Wettbewerb »berliner kindertheaterpreis« ins Leben ruft. Volker Schmidt und Magdalena Grazewicz werden die ersten Sieger*innen. Im November 2008 feiert die musikalische Großproduktion »Rosa« von Franziska Steiof und Volker Ludwig Premiere. Ein gewagtes Unternehmen in klammen Zeiten, glücklicherweise unterstützt von der Lotto-Stiftung sowie dem Hauptstadt-Kulturfonds, der schon »Baden gehn« und »Schöne Neue Welt« mitfinanzierte und ohne dessen Hilfe das GRIPS sich schon längst kein abendfüllendes großes Stück mehr leisten kann. Ende 2008 fliegen wir dann obendrein aus der Werkstatt: der gesamte Schiller-Theater-Komplex wird für 23 Millionen Euro in eine Ersatzspielstätte für die Staatsoper umgebaut. Unter dem Motto »GRIPS macht rüber« finden wir unsere Ersatzspielstätte im ehemaligen »Haus der jungen Talente«, jetzt Podewil genannt. Sie liegt in Berlins Mitte, nahe dem Alexanderplatz – wo uns, wie Volker sagt, vor 30 Jahren CDU und Springer Presse schon hin gewünscht hatten! Mit fünf Produktionen ziehen wir in den Ostteil der Stadt. Eröffnet wird Ende Februar 2009 mit Philippe Bessons Inszenierung von »Lilly unter den Linden«, einer DDR-Geschichte, passend zu Ortswechsel und 20 Jahre Mauerfall.
2011 schlägt die Nachricht, dass Volker Ludwig nach 42 Jahren die künstlerische Leitung abgeben will, hohe Wellen. Er verabschiedet sich mit dem von Franziska Steiof unvergesslich empfindsam inszenierten »So lonely«.
Stefan Fischer-Fels, der in den Jahren von 1993 bis 2003 als Dramaturg und Theaterpädagoge am GRIPS Theater gearbeitet hat, kehrt 2011 als künstlerischer Leiter ans GRIPS zurück. Zu meiner Freude! Stefan überredet Volker Ludwig zu seiner Kästner Adaption «Pünktchen trifft Anton«, ein Dauerbrenner wie die als Rockkonzert inszenierten «Die Fabelhaften »Millibillies« für Menschen ab 5, wie Ludwigs Mobbing-Stück »Schnubbel« für Menschen ab 6 – und viele andere wie Lutz Hübners Komödie »Frau Müller muss weg« in der Regie von Sönke Wortmann. Mit »aneinander vorbei« führt Stefan das »Theater für Menschen ab 2« am GRIPS Theater ein. Weitere Höhepunkte: Zaufke/Lunds »Die letzte Kommune« mit Dietrich Lehmann als greisen Kommunarden sowie Milena Baischs Erstling »Die Prinzessin und der Pjär« (beide 2013) und die Entdeckung der jungen Regisseurin Mina Salehpour. Stefans inhaltliche und ästhetische Experimente waren dank der Schauspieler*innen stets sehenswert, aber zunehmend umstritten. Zum Ende der Spielzeit 2015/16 verlässt er – überraschend vorzeitig – das GRIPS Theater, um nach Düsseldorf in die Theaterleitung zu wechseln. Ebenso schnell und überraschend für alle Beteiligten findet Volker Ludwig in mir einen neuen künstlerischen Leiter. Obwohl ich anfangs sein Angebot gar nicht ernst nehme. Ich versuche ihn zu Andrea Gronemeyer zu überreden, als er sagt: »Du könntest das doch auch«. Ich bin überrascht. Wer setzt für so eine Position einen Theaterpädagogen ohne Erfahrung als künstlerischer Leiter ein? Volker Ludwig tut so was. Und mit diesem Vertrauen im Rücken mache ich mich daran, denen, die mich anfangs als »Museumsverwalter« oder »Hausgewächs« abschreiben, das Gegenteil zu beweisen. Es besteht akuter Handlungsbedarf, denn die Zeit für die Planung der neuen Spielzeit rennt davon.Spielzeit 16/17: Es gibt sechs Uraufführungen und die Neuauflage des GRIPS-Klassikers »Eine linke Geschichte«. Der thematische Bogen spannt sich von Obdachlosigkeit über IS und Homophobie bis hin zu Cybermobbing und Familienkonflikten in »Laura war hier«. Mit Nadja Sieger, Lydia Ziemke, Maria Lilith Umbach, Sabine Trötschel und Theresa Henning hole ich gezielt Regisseurinnen ans Haus und baue die Zusammenarbeit mit den Autorinnen Milena Baisch, Susanne Lipp und Kirsten Fuchs aus. Frauen sind in diesen Schlüsselpositionen am Theater immer noch unterrepräsentiert und waren es auch am GRIPS. Ein weiteres Vorhaben ist es, die diverse Berliner Gesellschaft im eigenen Theater abzubilden. Das versuche ich in der Besetzung von Schauspieler*innen-Positionen und einer jungen Generation von Autor*innen und Regisseur*innen wie Theresa Henning oder Mehdi Moradpour umzusetzen. Die Zusammenarbeit mit langzeitigen Weggefährten wie Yüksel Yolcu, Robert Neumann und Frank Panhans setze ich fort. Rüdiger Wandel (Regie) habe ich wieder ans GRIPS zurückgeholt und mit Jochen Strauch einen neuen Regisseur fürs Kinder- und Jugendtheater gewonnen. Mit Vassilis Koukalani vom Athener Theater »Manufaktur des Lachens« baue ich eine enge Kooperation auf.
Mit Beginn der Spielzeit 2017/ 2018 überträgt Volker mir die gesamte Theaterleitung. Und Andreas Joppich wird auf meinen Wunsch der Geschäftsführer, der mit mir zusammen das GRIPS Theater geschäftlich vertritt. Volker Ludwig steht mir weiter als Berater zur Seite. Wie er selbst sagt: »Am liebsten dann, wenn du es nicht willst«. Das stimmt. Und deswegen verstehen wir uns prächtig. Mit der Spielzeit 2018/ 2019 befindet sich das GRIPS in der 50., der großen Jubiläumsspielzeit. »50 Jahre Zukunft« und »On the Child’s Side« sind die Slogans, die bei uns heiß diskutiert werden. Wie bringt man diese besondere GRIPS-Geschichte zum Ausdruck? Der Geburtstag hält das gesamte Theater in Atem. Wie sollen wir feiern? Was muss erzählt werden? Ein internationales Symposium zum Thema »Kinderrechte im Theater« sowie ein Festival mit unseren befreundeten Gruppen aus Griechenland, Indien und Südkorea stehen an. 50 Jahre GRIPS Theater heißt auch, dass unser Theaterarchiv von der Akademie der Künste übernommen wird. Das GRIPS Theater ist nicht mehr nur Theaterstätte, sondern längst weltweites Forschungsobjekt.
GRIPS hat 50 Jahre überlebt und sprüht vor Lebensfreude. Über den Sinn seiner Arbeit gibt es keinen Zweifel: Es vertritt die Interessen seines Publikums. Ein Theater, das gebraucht wird.
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Chronologie
1966: Das "Theater für Kinder im Reichskabarett" wird gemacht.
1969: Die erste Aufführung beginnt.
Es ist das Stück "Stokkerlok und Millipilli".1972: Umzug in das "Forum Theater".
Der neue Name ist GRIPS.1974: Umzug an den Hansaplatz.
1995: GRIPS und das "Carrousel" Theater bekommen eine gemeinsame Bühne.
Die "Schiller-Theater-Werkstatt".
Es wird der zweite Spielort vom GRIPS.2008: Der zweite Spielort zieht um.
Zum Podewill der Mitte.2011: Herr Stefan Fischer-Fels wird Kunst-Chef.
2016: Herr Philipp Harpain wird Kunst-Chef.
2017: Herr Philipp Harpain wird Chef.
2019: Wir geben das Archiv an
die Akademie der Künste in Berlin.2019: GRIPS feiert 50. Geburtstag.
2 Wochen lang gibt es viele Feiern.Und ein großes Fest auf dem Hansaplatz.
Und Gäste aus vielen Ländern.